Polytox Zine
Wenn es um Musik aus Düsseldorf geht, werden natürlich immer und sofort Die Toten Hosen genannt. Kein Wunder, sind Campino und Co. doch eine der bekanntesten und erfolgreichsten Rockband im deutsch-sprachigen Raum überhaupt. Im Laufe des Gesprächs werden dann gewöhnlich auch Namen wie Fehlfarben oder Broilers fallen, und je mehr es ins Detail geht, werden vielleicht auch noch Bands genannt wie Family 5, Stunde X, Die Schwarzen Schafe oder Public Toys. Alles Bands, denen man den Einfluss der Toten Hosen entweder anhört oder die zur selben zeit ähnlichen Einflüssen ausgesetzt waren und deshalb eine gewisse Wahlverwandschaft zu den Hosen besitzen. Aber Düsseldorf hatte auch immer eine elektronische, experimentelle Musiktradition. Angefangen natürlich bei Kraftwerk, die Erfinder elektronischer Musik über DAF bis hin zu den Krupps und den Solosachen von KFC-Sänger Tommi Stumpf. Zumindest die drei erstgenannten können als Pioniere gelten, deren Strahlkraft weit über Deutschland hinaus geht.
Wie auch immer, was ich mit dieser umständlichen Einleitung eigentlich zeigen wollte: Düsseldorf hat mehr zu bieten als die Toten Hosen und ihre zahlreichen Epigonen. Und es ist schön zu hören, dass es mit Selfie mit Stalin endlich eine Band gibt, die mehr in der Tradition von DAF, Krupps und Tommi Stumpf stehen als in der der Toten Hosen.
Michael und Christian dürften aufmerksamen Beobachter*Innen der hiesigen Szene-landschaft vielleicht auch als Musikanten der Saigoons bekannt sein. Aber bei Selfie mit Stalin gefallen sie mir deutlich besser. Ich mag diesen elektronischen und im Fall von Selfie mit Stalin auch düsteren Sound, den wummernden Bass, die scheppernde Elektronik und die kühlen, desillusionierten Texte. “Der letzte Tanz” enthält einige sehr gute Lieder. “Die Welt brennt” gehört dazu, ebenso “Guiolltine” und mein Favorit “Fuck le Flair”, aber auch die übrigen sieben Lieder gehen gut ins Ohr, wie man im Rezensentenslang so schön schreibt.
Starkes Debütalbum! Ich hoffe, das war nicht der letzte Tanz!
(Falk Fatal)
OX Fanzine
#140
1934 überraschte Dmitri Schostakowitsch in seiner Oper "Lady Macbeth von Mzensk" das Publikum mit wildem Sex. Josef Stalin ächtete Schostakowitsch und dessen Musik daraufhin. Schostakowitsch aber komponierte weiter und versteckte seine kritischen Inhalte geschickt vor den Ohren Stalins und der Kulturbehörde. SELFIE MIT STALIN überraschen indes mit einer zeitgemäßen EBM-Diskurskakophonie in vom Vocoder verzerrten Stahlsoundgewitter zwischen KMFDM, DAF und den frühen DIE KRUPPS, wobei man sich textlich eher an GOETHES ERBEN und Oswald Henke und deren destruktive Weltenbrandlyrik erinnert fühlt. Ein Song wie "Herrscher aller Dinge" bietet eine schöne Reminiszenz an FRONT242. Der dunkle und apokalyptische Dreck muss halt raus, sonst weicht er die Synapsen auf. "Der letzte Tanz" ist gut für den EBM-Dancefloor, wenn man im Morgengrauen den Kopf gegen eine Betonwand knallen will. Live könnte das gut im Vorprogramm von DAF zünden.
(Markus Kolodziej)
Underdog Fanzine
Elektronische Klänge aus dem Kraftwerk, Industrial Beats und monoton flüsternde Botschaften, die bestimmend sind, die herabsetzen und bedrohen.
Auch dies setzt ein Signal, die kanonische Endgestalt in der Art Culture tanzt den Stalin und der Größenwahn eröffnet Horizonte. Michael und Christian sind Punx und Klangkünstler, die fantasievoll experimentieren und in dunklen Nischen nach produktiven Klängen suchen. Kreativität ergibt sich aus harter Arbeit. Fuck le flair. Eine nächtliche Spazierfahrt, Neon-Reklameschilder, ein Tanz auf den Trümmern der Stadt. Mit Ablenkung an der frischen Luft bewegen sich die Gedanken freier umher. Eine Fortsetzung der Arbeit mit Eindrücken aus einer kalten, kühlen Klanglandschaft. Synths-Töne wie ein Flimmern, düstere Worthülsen über die NervenärztInnen analysieren. Tourette und unkontrollierbare Tics, kombiniert mit einem Spiel, das dem hypomanen Temperament die nötige Energie verleiht. Dark Wave und Industrial, Selektion und Selbstvertrauen. Die überraschenden Wechsel machen aber auch die Nähe von Genie und Wahnsinn deutlich. Selfie mit Stalin bündeln kreative Eigenschaften wie Offenheit oder Originalität mit Zwangsimpulsen, Nihilismus und zynisch-kritischen Perspektivwechsel.
https://www.underdog-fanzine.de/2018/08/27/selfie-mit-stalin-der-letzte-tanz/
Plastic Bomb Fanzine
#104
Electro-Wave aus Düsseldorf dessen Melodie und Monotonie an die frühen DAF erinnern, also lang vor "Tanz den Mussolini". Teols eingängig bis tanzbar, teils nervenaufreibend bis anstrengend, insgesamt etwas lang in der Spieldauer aber dafür mutig anders.
(Ronja)
Fundgrube
80er Dark Wave trifft Elektro Punk oder was?
Sodele, manchmal bekomme ich ja auch Musik zugesteckt. In dem Fall lag es wohl daran das ich den zwei Schnullis von Selfie mit Stalin ein paar Sachen bei Ableton Live gezeigt habe. Ich bin jetzt auch endlich dazu gekommen das Album zu hören. Soviel schon mal, es ist voller Ideen und schönen Melodien. Wer mich ein bisschen kennt weiß ja auch das ich durchaus gerne mal EBM höre und da gibt es hier auch ab und an Synthlines die mich an DAF oder Nitzer Ebb erinnern. Der Gesang ist für mich etwas gewöhnungsbedürftig aber Geschmäcker sind wie Arschlöcher, jeder hat eins. Es gibt Melancholie und durchdachte Texte, auch wenn nicht jedes Lied gleich bei mir zündet, das Album ist gut und alles andere als Massenware für den Punkeinheitsgeschmack. Da ist Potential drin und wenn ihr könnt und mal Musik abseits von abgelutschten immergleichen Pfaden hören wollt, gebt dem Album eine Chance, verdient haben die Jungs es auf jeden Fall. WIR TANZEN AUF DEN TRÜMMERN DER STADT!
(Marci / 100Blumen)